Polens Schüler lernen Schießen: Sicherheit oder gefährliche Praxis?

Iłża, Polen - In Polen ist das Schießen seit diesem Schuljahr ein Pflichtfach an Schulen der Oberstufe. Schüler im Alter von 14 und 15 Jahren lernen dabei nicht nur den Umgang mit Sportwaffen, sondern auch Disziplin, Präzision sowie Verantwortungsbewusstsein. Der Unterricht wird als Teil der „Sicherheitserziehung“ angeboten und ist eine direkte Reaktion auf den Krieg gegen die Ukraine. Der Schüler Kacper (15 Jahre) hebt hervor, wie wichtig der Umgang mit Waffen in extremen Situationen sein kann, während seine Mitschülerin Maja den aktuellen geopolitischen Kontext anspricht. Der Unterricht wird nicht nur als militärische Vorbereitung wahrgenommen, sondern auch als Möglichkeit, Zugang zu Schützenvereinen zu erhalten und körperliche sowie geistige Fähigkeiten zu fördern. Schießlehrer Pawel Piorun betont die Bedeutung einer Grundausbildung für alle Schüler, nicht nur für Kinder.

Der praktische Unterricht beinhaltet theoretische und praktische Aspekte, wie das Sichern und Entsichern von Waffen, Laden, Entladen sowie Schießübungen. Im Gymnasium in Iłża, wo das Programm durchgeführt wird, sind die Waffen realistische Nachbildungen, die von den Schülern im Rahmen der Ausbildung verwendet werden. Die Schule profitiert von staatlicher Finanzierung durch das polnische Verteidigungsministerium, welches auch einen Schießstand sowie eine Vollzeitstelle für den Schießlehrer bereitstellt. Direktor Leszek Giemza hebt die sportliche Komponente des Schießunterrichts hervor und betont, dass er mehr als nur militärische Vorbereitungen umfasst.

Gesellschaftliche Reaktionen

Die polnische Gesellschaft ist in Bezug auf den Schießunterricht stark polarisiert. Laut einer nationalen Umfrage unterstützen 41 Prozent der Befragten den Unterricht, während 45 Prozent dagegen sind. Insbesondere Frauen äußern Vorbehalte gegen die Waffenunterweisung für Jugendliche. Kritiker argumentieren, dass Kinder in diesem Alter nicht mit Waffen umgehen sollten. Historisch gesehen wird die Schulung im Umgang mit Waffen durch traumatische Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs und die sowjetische Unterdrückungszeit bis 1989 geprägt. Der Warschauer Aufstand von 1944, an dem auch viele Jugendliche teilnahmen, bleibt ein zentrales Symbol für die polnische Widerstandskraft und die Notwendigkeit der Wehrhaftigkeit.

Parallel zu den Befürwortern des Programms befürchten Experten, dass sich in der polnischen Gesellschaft splittere Meinungen entwickeln. Jan Opielka, ein freier Journalist, bemerkt, dass die Akzeptanz des neuen Unterrichts relativ gut ist, insbesondere unter den Unter-24-Jährigen. Zudem gibt es Rückmeldungen, dass die Unterstützung für den Schießunterricht zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine höher war.

Strategische Überlegungen

Die Einführung des Schießunterrichts wird auch im Kontext von Polens strategischen Überlegungen zur Stärkung der eigenen Verteidigungsfähigkeiten gesehen. Diese Maßnahme steht im Zusammenhang mit der langfristigen Planung, die Armee zu erweitern und zu stärken, um eventuellen Rekrutierungsproblemen ab 2027 entgegenzuwirken. Experten, wie der Forscher Bastian Sendhardt vom Deutschen Polen-Institut, erläutern, dass der Unterricht vor allem darauf abzielt, den Schülern zu vermitteln, wie man ein Gewehr bedient, und nicht darauf, wie man tötet. Trotz der breiten Diskussion um die Thematik ist die Sichtweise in der Bevölkerung sehr unterschiedlich, und viele Polen sehen die Notwendigkeit, in einer zunehmend unsicheren Welt gewappnet zu sein.

In einem international vergleichenden Rahmen fällt auf, dass in Russland bereits im Kindergarten ein militärisches Verständnis vermittelt wird. Dies geschieht durch patriotische Aktivitäten und paramilitärische Ausbildung. Diese Perspektive unterstreicht den Unterschied zu Polen, wo die Ausbildung zum Umgang mit Waffen eher als Sicherheitsmaßnahme und Ausdruck von Resilienz betrachtet wird.

Für die polnische Bildung und Kultur bedeutet die Einführung des Schießunterrichts also weit mehr als nur eine technische Fertigkeit: Es ist eine Antwort auf historische Erfahrungen, gegenwärtige Ängste und die Suche nach Identität in einer sich verändernden geopolitischen Landschaft.

Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie bei MDR, Focus und SRF.

Details
Ursache Reaktion auf den Krieg gegen die Ukraine
Ort Iłża, Polen
Quellen