Wir müssen unser Haus verkaufen

Die Bundesrepublik kämpft um Wirtschaftshilfe: An diesem Dienstag trafen sich Wirtschaftsverbände und Spitzenpolitiker erneut in Berlin, um über die langsame Zahlung der angekündigten Finanzspritzen für Unternehmen und Selbstständige zu sprechen. Sie nehmen allmählich Fahrt auf, aber für das Tattoo-Studio von Dawid Hilgers könnte es zu spät sein. Normalerweise trifft man Hilgers in seinem Atelier in der Altstadt von Bayreuth: Hier, hinter Steinbruchmauern und einem kleinen Schaufenster, hatte der 39-Jährige fast zehn Jahre lang Tätowierungen und Piercings. Er sagt, als es eröffnet wurde, habe er eine konkrete Entscheidung zugunsten des winzigen Ladens getroffen. „So klein wie möglich, dann haben Sie eine …
Die Bundesrepublik kämpft um Wirtschaftshilfe: An diesem Dienstag trafen sich Wirtschaftsverbände und Spitzenpolitiker erneut in Berlin, um über die langsame Zahlung der angekündigten Finanzspritzen für Unternehmen und Selbstständige zu sprechen. Sie nehmen allmählich Fahrt auf, aber für das Tattoo-Studio von Dawid Hilgers könnte es zu spät sein. Normalerweise trifft man Hilgers in seinem Atelier in der Altstadt von Bayreuth: Hier, hinter Steinbruchmauern und einem kleinen Schaufenster, hatte der 39-Jährige fast zehn Jahre lang Tätowierungen und Piercings. Er sagt, als es eröffnet wurde, habe er eine konkrete Entscheidung zugunsten des winzigen Ladens getroffen. „So klein wie möglich, dann haben Sie eine … (Symbolbild/NAG)

Die Bundesrepublik kämpft um Wirtschaftshilfe: An diesem Dienstag trafen sich Wirtschaftsverbände und Spitzenpolitiker erneut in Berlin, um über die langsame Zahlung der angekündigten Finanzspritzen für Unternehmen und Selbstständige zu sprechen. Sie nehmen allmählich Fahrt auf, aber für das Tattoo-Studio von Dawid Hilgers könnte es zu spät sein.

Normalerweise trifft man Hilgers in seinem Atelier in der Altstadt von Bayreuth: Hier, hinter Steinbruchmauern und einem kleinen Schaufenster, hatte der 39-Jährige fast zehn Jahre lang Tätowierungen und Piercings. Er sagt, als es eröffnet wurde, habe er eine konkrete Entscheidung zugunsten des winzigen Ladens getroffen. „So klein wie möglich, dann haben Sie eine bessere Chance, Krisen zu überleben.“

Das hat kaum geholfen. Aufgrund der Pandemie und der Sperrung fehlt Hilgers nun der Umsatz von sieben Monaten, und er erwartet auch nicht, dass sich die Situation im März verbessern wird. Es fielen jedoch weiterhin Miet- und Nebenkosten an – weshalb Hilgers in den letzten Monaten von der Substanz gelebt hat. „Bis vor kurzem hatte mein Konto mehr als 6000 Euro rote Zahlen, ich musste Geld von meinen Schwiegereltern leihen und die Reserven sind seit langem aufgebraucht“, beschreibt Hilgers seine finanzielle Situation.

Umso ungeduldiger sieht der Selbständige nach Berlin: Am Dienstag traf Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dort mit Vertretern zahlreicher Wirtschaftsverbände zusammen, und der Minister brauchte zwei Stunden für die rund 40 Geschäftspartner. Eine Eröffnungsstrategie für Handels- und Dienstleister soll nun ausgearbeitet werden – doch kurz nach dem Treffen kündigten mehrere Zentralverbände an, dass sie die staatlichen Beihilfen verbessern müssten.

Die Hilfe kommt kaum an

Weil sie nur langsam fließen, wie Hilgers aus eigener Erfahrung weiß: Im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen hat er jetzt die November- und Dezember-Hilfe auf seinem Konto. „Das Geld ist tatsächlich wieder weg“, sagt Hilgers. Da er noch zwei Monatsmieten zahlen muss, warten auch die Versicherungsunternehmen und das Finanzamt auf Geld. „Ich muss auch mein eigenes Gehalt überweisen“, sagt Hilgers.

Davon sollten Selbstständige im Moment eigentlich nicht abhängig sein. Das Bundesamt für Arbeit hat Selbständigen wie Hilgers den Zugang zu Sozialleistungen erheblich erleichtert. Der Familienvater profitiert jedoch nicht von den besonderen Koronaregeln, weil seine Frau zu viel verdient – zumindest auf dem Papier, wie Hilgers betont. „Der Antrag basiert auf ihrem Gehalt aus dem Vorjahr, während sie sich derzeit in Elternzeit befindet.“

Und so fällt die Familie durch das soziale Netzwerk, das die Bundesregierung angesichts der grassierenden Pandemie geschaffen hat. Stattdessen helfen Eltern und andere Verwandte mit kleinen Zahlungen. „Wir leben so sparsam wie möglich“, sagt Hilgers. Aber das Haus muss bezahlt werden, die Miete für das Geschäft muss noch bezahlt werden und zusätzlich muss die Versicherung bezahlt werden. Das wird lange nicht gut gehen, sagt Hilgers: „Wir müssen unser Haus verkaufen.“

Viele Tätowierer protestieren

Trotzdem gehört der Tätowierer nicht zu denen, die die Sperrung grundlegend in Frage stellen. Stattdessen bemerkt man im Gespräch, wie zerrissen der Familienvater ist. „Als ausgebildete Intensivschwester weiß ich, worum es geht“, sagt Hilgers über die Pandemie. Es gab auch Koronafälle in seiner Familie. „Meine Tante musste drei Monate lang kämpfen“, sagte Hilgers. Gleichzeitig ist er davon überzeugt, dass das Infektionsrisiko in Tattoo-Studios überschaubar ist. Er hat normalerweise nur einen Kunden pro Tag „und ich kann seine Kontaktdaten im Voraus aufzeichnen und auch fragen, ob es Koronasymptome gibt“.

„Deshalb verstehen wir nicht, dass wir nicht öffnen dürfen“, sagt der Tätowierer, der sich jetzt mit Kollegen zusammengetan hat. Unter dem Hashtag #ihrmachtunsnackt veröffentlichen sie Bilder ihrer meist aufwendig dekorierten Körper – und appellieren an die Politik, sie stärker zu unterstützen und vor allem die als „Wiederanlaufhilfe“ für Januar und Februar angekündigten Mittel so schnell wie möglich auszuzahlen.

Hilgers möchte vielleicht aufgeben

Das sollte jetzt beginnen, kündigte Minister Altmaier kurz vor dem Wirtschaftsgipfel an. „Ein Hoffnungsschimmer, wenn es funktioniert“, sagt Hilgers – und ärgert sich immer noch über Altmaier und seinen Kabinettskollegen, Finanzminister Olaf Scholz (SPD). „Als ich hörte, wie der Wirtschaftsgipfel verlaufen sollte, musste ich lachen.“ Stattdessen wollte er, dass sich ein Politiker die Zeit nahm und ausführlich erklärte, warum die Hilfe so lange dauerte und warum lange Zeit nur betriebliche, aber keine Lebenshaltungskosten erstattet wurden. „Was denken sie, was wir beruflich machen?“

Hilgers erwägt nun, sein Geschäft vorerst aufzugeben. „Aber das ist extrem schwierig für mich, schließlich habe ich es über zehn Jahre lang aufgebaut.“ Er weiß noch nicht, was er stattdessen tun könnte – nur, dass eine Rückkehr zur Krankenpflege aufgrund der früheren Krankheiten seiner Frau nicht in Frage kommt. Stattdessen erwägt Hilgers, in die Firma seines Vaters einzutreten. Er ist Gärtner und kann trotz Pandemie arbeiten.

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