Aufruhr in Radolfzell: Historiker fordert Aberkennung von Kratts Ehrenbürgerschaft!

Aufruhr in Radolfzell: Historiker fordert Aberkennung von Kratts Ehrenbürgerschaft!
Radolfzell, Deutschland - In Radolfzell sorgt ein offener Brief von Historiker Markus Wolter für Aufsehen. Er hat sich an den Gemeinderat gewandt, um die Ehrenbürgerwürde von August Kratt zu thematisieren. Kratt war von 1942 bis 1945 kommissarischer Bürgermeister der damaligen SS-Garnisonsstadt und ist seit 1962 Ehrenbürger, nachdem er die Stadt durch das Hissen einer weißen Flagge vor Zerstörung bewahrte. Wolter sieht jedoch die bisherige Einschätzung von Kratts NS-Belastung als unzureichend an, wie Seemoz berichtet.
Die Kontroversen um Kratt sind nicht neu: Er war ein aktives Mitglied der NSDAP seit 1933 und zudem in der SS fördernd tätig. Während seiner Amtszeit wurde er unter Druck gesetzt, insbesondere nachdem zwei Tage zuvor der stellvertretende Bürgermeister von Singen von der SS hingerichtet worden war. Sein Engagement in Organisationen wie der ADEFA, die die jüdische Bekleidungsindustrie boykottierten, verdeutlicht sein tiefes Eingreifen in die nationalsozialistische Ideologie.
Vorwürfe und Forderungen
Wolter kritisiert ein Gutachten von Dr. habil. Carmen Scheide, das die Rolle Kratts im Nationalsozialismus als unproblematisch darstellt. Er argumentiert, dass bei dieser Beurteilung bedeutende Archivquellen und Sekundärliteratur nicht in Betracht gezogen wurden. Wolter, der sich seit 2017 intensiv mit der Geschichte des Nationalsozialismus in Radolfzell auseinandersetzt, hat nachgewiesen, dass die Stadtverwaltung Zwangssterilisationen durchführte, bei denen Kratt aktiv beteiligt war. Dies wirft ein neues Licht auf die Verdienste, für die er posthum geehrt wurde.
„Die Stadtverwaltung wird nicht müde, darauf hinzuweisen, dass laufende Forschungen zur NS-Vergangenheit Kratts stattfinden. Doch die Ehrenbürgerschaft wurde trotz seines profunden Engagements im Nationalsozialismus nicht aberkannt“, so Wolter in seinem Schreiben. Er fordert eine Überprüfung der Empfehlung des AK Erinnerungskultur, die vorschlägt, die Ehrenbürgerschaft beizubehalten. Die Entscheidung darüber ist für den 24. Juni 2025 angesetzt.
Ein Schatten der Vergangenheit
Die Gedenktäfel am Münsterbrunnen zelebriert Kratts „Rettung“ der Stadt, vernachlässigt jedoch die Perspektiven der tatsächlichen Opfer des Nationalsozialismus. Persönlichkeiten wie Berta und Elisabeth Welschinger, die im Euthanasie-Programm ermordet wurden, bleiben unerwähnt. Die öffentliche Wahrnehmung in Radolfzell lenkt den Fokus mehr auf Kratts vermeintliche Heldentaten als auf die Schicksale derjenigen, die unter dem Regime litten, wie Seemoz schildert.
Eine aktuelle Umfrage zur deutschen Erinnerungskultur zeigt, dass es in der Gesellschaft große Wissenslücken gibt und ein wachsendes Bedürfnis nach einem „Schlussstrich“ unter die NS-Vergangenheit besteht. Während 42,8 % der Befragten die Bedeutung der Erinnerung an die NS-Verbrechen betonen, glaubt eine überwiegende Mehrheit, dass es für eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Zeit für einen Schlussstrich sei. Diese ambivalente Haltung zur NS-Vergangenheit reflektiert sich auch in der politischen Wahrnehmung: Mehr als die Hälfte der Befragten hält die AfD für unwählbar im Kontext der deutschen Geschichte, was zeigt, dass die Auseinandersetzung mit diesen Themen nicht nur lokal, sondern auch auf nationaler Ebene kontrovers diskutiert wird, wie Tagesschau berichtet.
Die Entscheidung des Radolfzeller Gemeinderates über die Ehrenbürgerwürde von August Kratt wird ein wichtiges Zeichen setzen. Können wir uns mit einem ehemaligen NSDAP-Mitglied als Ehrenbürger arrangieren, während die Stimmen der Opfer weiterhin in den Hintergrund gedrängt werden? In einer Zeit, in der viele Menschen auf die dringenden Themen der Gegenwart schauen wollen, bleibt die Lehre aus der Vergangenheit eine essentielle Aufgabe, der wir uns nicht entziehen sollten.
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Ort | Radolfzell, Deutschland |
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