Gesänge vom Überleben: Vergessene Zwangsarbeitergeschichten in Augsburg

Gesänge vom Überleben: Vergessene Zwangsarbeitergeschichten in Augsburg
Im Staatstheater Augsburg wurde am 5. Juli 2025 das Stück „Gesänge vom Überleben“ Uraufführung gefeiert. In der Inszenierung von Nicole Schneiderbauer beschäftigt sich Tine Rahel Völcker mit den bewegenden Schicksalen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die während der Nazi-Diktatur in Augsburg und der Region Schwaben in der Rüstungsproduktion tätig waren. Im Fokus steht die beeindruckende Lebensgeschichte von Jakob „Johnny“ Bamberger, einem talentierten Boxer und Sinto, der in verschiedenen Konzentrationslagern gefangen war und durch brutalste Umstände gezwungen wurde, in den Augsburger Messerschmitt-Werken zu arbeiten.
Bamberger, geboren 1913 in Ostpreußen, trat bereits mit 20 Jahren in den Boxring ein und war Mitglied der deutschen Kernmannschaft für die Olympischen Spiele 1934. Sein Schicksal nahm einen tragischen Verlauf, als er von den Nazis ins KZ Dachau deportiert wurde, wo er nicht nur zur Zwangsarbeit gezwungen, sondern auch medizinischen Experimenten ausgesetzt wurde. Nach seiner Befreiung im KZ Buchenwald im Jahr 1945 musste Bamberger, der zeitlebens um Entschädigung kämpfte, die bitteren Folgen der NS-Zwangsarbeit tragen. Seine tragische Geschichte wird von Völcker in einer symbolträchtigen und choreografischen Darstellung lebendig gemacht, die das Publikum mit den Emotionen der Opfer konfrontiert.
Erinnerung an die Vergangenheit
Die Inszenierung von „Gesänge vom Überleben“ versucht, die gesellschaftliche Akzeptanz von Zwangsarbeit in den Vordergrund zu stellen und thematisiert die anschließende Tilgung der Erinnerung daran. In der Aufführung kommen auch fragmentarische Erzählungen aus Zeitzeugenberichten zu Wort, die die Grauen und den Schmerz der Betroffenen eindringlich schildern. „Johnny“ Bambergers Leidensweg zeigt auf, wie die Täter und Mitwisser, die als „einheimische Gartenzwerge“ dargestellt werden, oft nichts von den Verbrechen wissen wollten, während die echten Geschichten der Zwangsarbeiter dringend Gehör finden müssen.
Bamberger erhielt nur geringe Entschädigung für seine Haft im KZ, da er aufgrund von Fälschungen, die er zur Flucht unternommen hatte, als Straftäter galt. Die tragischen Umstände und die Ungerechtigkeit zeigen, wie lange es dauert, bis den Opfern von Zwangsarbeit die Anerkennung zuteilwird, die sie verdienen. Erst etwa 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann eine Debatte über Entschädigungen für Zwangsarbeiter, die im Jahr 2000 zur Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ führte. Diese zahlte rund 4,7 Milliarden Euro an 1,7 Millionen Überlebende aus, was jedoch nur ein kleiner Schritt zur Wiedergutmachung für viele war.
Ein Lern- und Erinnerungsort in Augsburg
In Augsburg gibt es erst seit 2023 einen Lern- und Erinnerungsort zu den Außenlagern des KZ Dachau, der dem Gedenken an die Opfer von Zwangsarbeit und ihren Geschichten gewidmet ist. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, in dem die deutsche Kriegswirtschaft Arbeitskräfte dringend benötigte und viele Millionen Menschen aus überfallenen Ländern zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden, ist es umso wichtiger, diese dunklen Kapitel der Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Im August 1944 arbeiteten sechs Millionen zivile Zwangsarbeiter im Deutschen Reich, wobei die Lebensbedingungen für viele, insbesondere für die aus der Sowjetunion und Polen, katastrophal waren.
Mit „Gesänge vom Überleben“ hat Völcker, unterstützt von der Bürgerinitiative Pfersee und Zeitzeugen, erneut einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur geleistet. Die Schauspieler verkörpern die Emotionen wie Stärke, Fassungslosigkeit und Zorn und bringen das Publikum dazu, über die Vergangenheit nachzudenken und sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Es bleibt zu hoffen, dass die Geschichten dieser mutigen Menschen auch weiterhin erzählt werden und die Gesellschaft dazu anregen, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen und Verantwortung zu übernehmen.
Für alle Interessierten bietet das Stück eine intensive Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit einer oft verdrängten Thematik, die noch immer einen wichtigen Platz in unserem kollektiven Gedächtnis einnehmen sollte. Weitere Informationen können über die Artikel von nachtkritik.de und Augsburger Allgemeine sowie der Bundeszentrale für politische Bildung abgerufen werden.