Rotarmisten-Kinder brechen das Schweigen: Geschichten des Unrechts

Die Leipziger Gruppe „Distelblüten“ erinnert an Russenkinder und ihre oft unerzählten Geschichten 78 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Leipziger Gruppe „Distelblüten“ erinnert an Russenkinder und ihre oft unerzählten Geschichten 78 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. (Symbolbild/NAG Archiv)

Leipzig, Deutschland - Im Schatten der Geschichte brechen die Kinder von Rotarmisten ihr Schweigen über eine schmerzhafte Vergangenheit. Vor 15 Jahren gründeten neun Betroffene in Leipzig die Gruppe „Distelblüten“, die heute aus 30 Nachkommen von sowjetischen Soldaten besteht. Diese Kinder, geboren aus verschiedenen Beziehungen, darunter sowohl Liebesverhältnisse als auch Vergewaltigungen, haben in der DDR und darüber hinaus mit einem Stigma zu kämpfen. Ihnen wurde in der Gesellschaft oft keine Stimme gegeben, was ihre Erfahrungen und Identität stark prägte. lvz.de berichtet, dass die gesetzliche Regelung für Unterhaltsansprüche erst 1955 in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt wurde, was die lange Diskriminierung dieser Kinder unterstreicht.

Die Treffen der Distelblüten-Gruppe finden einmal jährlich statt, meist in Leipzig, und ziehen etwa 15 Teilnehmer an. Die Mitglieder kommen aus ganz Deutschland, inklusive Bundesländern wie Sachsen, Bremen, Niedersachsen und Bayern. Ihr zunehmendes Interesse an den sogenannten „Children born of War“ (CBOW) führte dazu, dass sie Kontakte zu anderen Betroffenen in verschiedenen Ländern knüpfen konnten. Ein Beispiel hierfür sind Deutsche, die während der Besetzung Norwegens in Beziehungen zu Norwegerinnen lebten, und die 2018 von der norwegischen Regierung für die Misshandlungen in der Vergangenheit entschuldigt wurden.

Das Erbe des Krieges

Die Schicksale dieser „Russenkinder“ sind nicht nur Einzelfälle, sondern spiegeln ein weitverbreitetes und oft ignoriertes Phänomen wider. In den letzten Jahrzehnten hat die Forschung begonnen, das oft vergessene Kapitel der Kinder des Krieges aufzuarbeiten. In Konflikten, wie denen in der Ukraine, dem Jemen oder Syrien, zeigt sich, dass sexuelle Gewalt systematisch als Kriegswerkzeug eingesetzt wird. Historisch gesehen sind die Verhältnisse, die während und nach den Kriegen zwischen Soldaten und einheimischen Frauen entstanden, selten objektiv betrachtet worden. Zivilbevölkerungen, besonders Frauen und Kinder, leiden und vergessen oft unter dem Stigma, Kinder des Feindes zu sein. ethikundmilitaer.de erläutert, dass diese Kinder, die häufig unter extremen Bedingungen zur Welt kamen, nicht nur mit Identitätsproblemen, sondern auch mit Diskriminierung und sozialer Isolation konfrontiert sind.

Das Leben der CBOW wird stark von unverarbeiteten Traumata, sowohl auf Seiten der Mütter als auch der Kinder, beeinflusst. Diese traumatischen Erfahrungen können sich in Form von psychischen Erkrankungen äußern, welche in einer Studie nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland häufig dokumentiert wurden. Ein integrativer Ansatz zur Unterstützung der Betroffenen, der auf gendersensible Bildung der Streitkräfte und die Beendigung der Straflosigkeit für sexualisierte Gewalt abzielt, ist dringend erforderlich.

Öffentliche Wahrnehmung und zukünftige Schritte

Während der Geschichtsschreibung und der öffentlichen Erinnerung oft nur die militärischen und politischen Aspekte der Kriegsfolgen betrachtet werden, rückt das Schicksal der Kinder, die durch Vergewaltigungen gezeugt wurden, zunehmend in den Fokus der Forschung. Michler, ein Mitglied der Distelblüten-Gruppe, fordert daher eine Ächtung sexueller Gewalt gegen Frauen im Krieg und betont die Notwendigkeit, egal ob in Geschichte oder Gesellschaft, über das Thema offen zu sprechen. Die anstehende Sendung im Deutschlandradio am 10. Mai verspricht, weitere Aufmerksamkeit auf dieses lange vernachlässigte Thema zu lenken und könnte ein wichtiger Schritt für die gesellschaftliche Anerkennung und Unterstützung der Betroffenen sein.

Diese Gespräche sind nicht nur entscheidend für das individuelle Verständnis und die Verarbeitung dieser traumatischen Geschichten, sondern auch für die Entwicklung eines größeren gesamtgesellschaftlichen Bewusstseins. Die Bereitschaft der Kinder von Rotarmisten, über ihr Erbe zu sprechen, ist der erste Schritt, um den vielen vergessenen Geschichten von Kindern des Krieges Gehör zu verschaffen.

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Ort Leipzig, Deutschland
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