Vom goldenen Westen zum kranken Mann : Deutschlands Wandel im Fokus

Die Wahrnehmung Deutschlands in Polen hat sich gewandelt: von Wohlstand zur Kritik an Deindustrialisierung und digitalem Rückstand.
Die Wahrnehmung Deutschlands in Polen hat sich gewandelt: von Wohlstand zur Kritik an Deindustrialisierung und digitalem Rückstand. (Symbolbild/NAG Archiv)

Deutschland - Deutschland hat sich in der Wahrnehmung vieler Polen gewandelt. Früher galt das Land als Inbegriff des „goldenen Westens“, bekannt für sein breites Autobahnnetz, gepflegte Einfamilienhäuser und allgemeinen Wohlstand. Heute wird Deutschland hingegen oft als „gefallenes Land“ beschrieben, das mit Herausforderungen wie Deindustrialisierung, unkontrollierter Migration und sinkenden Realeinkommen kämpft. Diese negative Sichtweise wird in einem Podcast mit dem Titel „Ruinenlandschaft Deutschland?“ thematisiert, wie MDR berichtet.

Die polnische Wirtschaft hingegen zeigt positive Entwicklungen. Für 2025 wird ein Wachstum von 3,7 % prognostiziert. Das Autobahn- und Schnellstraßennetz in Polen umfasst mittlerweile über 5.100 Kilometer, und die Eisenbahninfrastruktur verbessert sich ebenfalls. Besonders bemerkenswert ist die Vielzahl positiver Berichte über die polnische Gastronomie und den freundlichen Service. Schriftsteller Jacek Dehnel, der nach fünf Jahren in Berlin nach Polen zurückkehrte, kritisierte Deutschland jedoch als „gefallenes Land“ und bemängelte die digitale Rückständigkeit sowie die Bürokratie im Land. In Polen existiert seit 2017 die Smartphone-App mObywatel, die digitale Behördengänge einfacher gestaltet, während in Deutschland bürokratische Hürden häufig hinderlich sind.

Deindustrialisierung als Herausforderung

Die Probleme gehen jedoch über die Wahrnehmung hinaus. Die Berichterstattung über die ökonomische Zukunft Deutschlands zeigt erhebliche Sorgen über die Deindustrialisierung, die als Abwanderung der Industrieproduktion ins Ausland verstanden wird. Hohe Energiepreise, verstärkt durch den Ukraine-Krieg, treiben viele deutsche Firmen dazu, ihre Standorte zu überdenken. Laut BDI-Präsident Siegfried Russwurm besteht ein „enormer Stress“ für Deutschlands Geschäftsmodell, da viele Unternehmen zunehmend erwägen, in Länder mit niedrigeren Energiepreisen, wie die USA, zu investieren. Eine DIHK-Umfrage zeigt, dass 62 % der befragten Unternehmen in Nordamerika positive Geschäftserwartungen haben, während nur 32 % Investitionen in der Eurozone planen.

Die Deindustrialisierung ist ein langfristiger Trend, der seit Jahrzehnten anhält und mit dem Wandel von einer Industrie- hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft einhergeht. Gleichzeitig stagnieren die Arbeitsstunden im verarbeitenden Gewerbe, während sie in den Dienstleistungssektoren zunehmen. Diese Entwicklung führt zu Änderungen in der Qualifikationsstruktur des Arbeitsmarktes, da klassische Produktionsberufe zurückgehen und technische sowie IT-Berufe an Bedeutung gewinnen. Experten warnen, dass die Unsicherheit über die zukünftige Energieversorgung in Deutschland Investitionsentscheidungen stark bremsen könnte.

Digitalisierungsdefizite und mögliche Lösungen

Ein weiterer Aspekt, der zur Stagnation in Deutschland beiträgt, sind die Defizite in der Digitalisierung. Der Digitalisierungsindex, der vom Institut der deutschen Wirtschaft jährlich erstellt wird, zeigt, dass Deutschland im internationalen Vergleich hinterherhinkt. Im IMD-Ranking zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit hat Deutschland in der Kategorie Technologie sogar nur Platz 54 belegt. Dies ist ein alarmierendes Signal, da die Digitalisierung Potenzial für effizientere Prozesse und neue Produkte verspricht. Verglichen mit anderen Ländern, die als Vorbilder dienen könnten, gibt es zahlreiche Best-Practice-Beispiele, die Deutschland als Referenz heranziehen kann. So verfolgt Lettland beispielsweise eine ganzheitliche Strategie zur Verbesserung der digitalen Infrastruktur, während Irland Qualifizierungsprogramme zur digitalen Bildung anbietet.

Trotz dieser Herausforderungen bleibt Deutschland in Bereichen wie Einkommen und Gesundheitssystem weiterhin überlegen. Deutsche, die Polen besuchen, sind oft positiv überrascht von der Entwicklung in Polen, die sich zu einem dynamischen Wirtschaftsstandort gewandelt hat. Dennoch bleibt die Frage, ob Deutschland in der Lage ist, die systemischen Probleme anzugehen und wieder zu seinen alten Stärken zurückzukehren, während es gleichzeitig den positiven Trend in der polnischen Wirtschaft berücksichtigt. In der aktuellen Situation müssen nicht nur die Wahrnehmungen, sondern auch die strukturellen Gegebenheiten in beiden Ländern überdacht werden.

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Ort Deutschland
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