Was Sie brauchen, um Kanzler zu werden

Berlin. Die grüne Führerin Annalena Baerbock sagte vor Weihnachten einen Satz, der für Aufsehen sorgte. Es lautete: „Ja, ich vertraue auch darauf, der Kanzler zu sein.“ Der Satz wurde hauptsächlich vor dem Hintergrund ihrer Konkurrenz mit dem Ko-Parteivorsitzenden Robert Habeck gelesen, viel weniger jedoch im Hinblick auf die Frage, woher Baerbock dieses Selbstvertrauen tatsächlich bezieht. Immerhin ist die 40-jährige Mutter von zwei Kindern erst seit 2013 im Bundestag und weder in einem Bundesstaat noch in einer Bundesregierung Ministerin. Genau an diesem Punkt kommt jemand zu ihrer Argumentation, der sich in dieser Angelegenheit gut auskennt – Horst Teltschik, der inzwischen 80-jährige …
Berlin. Die grüne Führerin Annalena Baerbock sagte vor Weihnachten einen Satz, der für Aufsehen sorgte. Es lautete: „Ja, ich vertraue auch darauf, der Kanzler zu sein.“ Der Satz wurde hauptsächlich vor dem Hintergrund ihrer Konkurrenz mit dem Ko-Parteivorsitzenden Robert Habeck gelesen, viel weniger jedoch im Hinblick auf die Frage, woher Baerbock dieses Selbstvertrauen tatsächlich bezieht. Immerhin ist die 40-jährige Mutter von zwei Kindern erst seit 2013 im Bundestag und weder in einem Bundesstaat noch in einer Bundesregierung Ministerin. Genau an diesem Punkt kommt jemand zu ihrer Argumentation, der sich in dieser Angelegenheit gut auskennt – Horst Teltschik, der inzwischen 80-jährige … (Symbolbild/NAG)

Berlin. Die grüne Führerin Annalena Baerbock sagte vor Weihnachten einen Satz, der für Aufsehen sorgte. Es lautete: „Ja, ich vertraue auch darauf, der Kanzler zu sein.“ Der Satz wurde hauptsächlich vor dem Hintergrund ihrer Konkurrenz mit dem Ko-Parteivorsitzenden Robert Habeck gelesen, viel weniger jedoch im Hinblick auf die Frage, woher Baerbock dieses Selbstvertrauen tatsächlich bezieht. Immerhin ist die 40-jährige Mutter von zwei Kindern erst seit 2013 im Bundestag und weder in einem Bundesstaat noch in einer Bundesregierung Ministerin.

Genau an diesem Punkt kommt jemand zu ihrer Argumentation, der sich in dieser Angelegenheit gut auskennt – Horst Teltschik, der inzwischen 80-jährige ehemalige außenpolitische Berater des langjährigen Bundeskanzlers Helmut Kohl. „Dieses Selbstvertrauen ist eine wichtige Voraussetzung“, sagt er. „Sie müssen sich darauf verlassen, dass Sie das Büro übernehmen, und Sie sollten sich nicht ängstlich nähern.“ In dieser Hinsicht ist Baerbocks Ankündigung „Respekt“ überzeugend.

Tatsächlich sind die formalen Anforderungen an den Beamten minimal. Wer Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden will, muss nach dem Grundgesetz mindestens 18 Jahre alt sein und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen – und darf nicht wie ein Bundespräsident das 40. Lebensjahr vollendet haben. Nicht einmal ein Mandat im Bundestag ist zwingend erforderlich. In der Verfassung wird nur die Bundeskanzlerin erwähnt, die, wie wir seit 2005 wissen, die Möglichkeit einer Bundeskanzlerin nicht ausschließt.

Man darf es nicht ängstlich angehen.

Horst Teltschik ehemaliger Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl

Das Land hat übrigens seit 1949 sieben Kanzler und einen Kanzler getroffen: Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel. Und selbst wenn sich die Erinnerung an Erhard und Kiesinger als schwächer herausstellt, ist keiner der genannten abgestürzt. An den Anforderungen ändert sich nichts.

Um Kanzler zu werden, brauchen Sie zunächst eine Partei mit einer Mehrheit hinter sich, die der Meinung ist, dass Kandidat X oder Kandidat Y das Amt übernehmen könnten. Wie schwierig dies ist, zeigt sich derzeit in der CDU und der CSU, wo es kürzlich eine Handvoll Männer gab, die es sein wollten – und jetzt gibt es noch zwei, die theoretisch sein könnten: CDU-Chef Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder.

Nach erfolgreichem Bestehen der Bundestagswahl hat der Kandidat die Aufgabe, eine Koalitionsregierung zu bilden. In Deutschland gibt es kaum Einzelregierungen. Dies setzt Entschlossenheit sowie Kompromissbereitschaft voraus. Die zerstörten Sondierungen in Jamaika im Herbst 2017 haben gezeigt, wie schwierig es ist, Allianzen zu schmieden. Nun, nach dem Erfolg bedeutet es normalerweise, vier Jahre lang zu regieren.

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„Tote Zone“ der Politik

Es ist nicht jedermanns Sache. Der frühere Außenminister Joschka Fischer hat einmal gesagt, die Kanzlei sei die „Todeszone“ der Politik; Dort wird Sauerstoff knapp und die Luft extrem dünn. Die kürzlich zurückgetretene CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat es kürzlich ähnlich ausgedrückt. Sie entschied selbst, „am Ende will ich nicht 110 Prozent“, sagte die Saarländerin gegenüber der Süddeutschen Zeitung über ihren mangelnden Ehrgeiz, Kanzlerin zu werden. 99 Prozent würden der Kanzlei jedoch nicht ausreichen.

Zuallererst ist das wahrscheinlich physisch wahr. „Meetings dauern oft viele Stunden und manchmal sogar bis in den Morgen“, sagt Horst Teltschik. „Das muss man ertragen können.“ Dies gilt in Koalitionsrunden ebenso wie auf Konferenzen von Premierministern oder Treffen europäischer Staats- und Regierungschefs. Es reicht nicht aus, nur anwesend zu sein. Vielmehr müssen die Beteiligten bis zum Ende hellwach sein. Manchmal müssen sie am Ende einfach hellwach sein – wenn harte politische Verteilungs- und andere Konflikte angegangen werden.

Angela Merkel hat einmal gesagt, dass sie Schlaf speichern kann, wie ein Kamel Wasser speichern kann. Ohne dies wird es wahrscheinlich nicht funktionieren – auch nicht auf Reisen ins Ausland, wo das Programm normalerweise um 7 Uhr morgens beginnt und abends um 23 Uhr endet. Wenn nötig, hört die Kanzlerin erst um drei Uhr morgens mit Journalisten mit einem guten Glas Wein an der Bar eines Hotels auf. Kein Zweifel: Das muss man können.

Ein Amtsinhaber muss jedoch nicht allein körperlich fit sein. das gleiche gilt psychologisch. Willy Brandt zum Beispiel geriet von Zeit zu Zeit in Melancholie und verschwand. Dies ließ ihn verletzlich erscheinen – und musste schließlich seinen Stuhl frühzeitig verlassen. „Jeder, der an der Spitze steht, muss damit leben, dass er Gegner oder Feinde hat“, sagt Horst Teltschik. „Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie jedermanns Favorit sein müssen, müssen Sie Präsident werden.“

Wer Kanzler werden will, muss auch ein breites Themenspektrum abdecken. Natürlich gibt es für jede Abteilung einen Minister. Man kann und muss auch kluge Berater bekommen, sagt Kohls ehemaliger rechter Mann. Aber der Kanzler legt die Richtlinien für die Politik fest; und das bedeutet, im Zweifelsfall detailliert auf diese Richtlinie eingehen zu müssen, um bei Bedarf die Befugnis nutzen zu können, Richtlinien herauszugeben.

Bei alledem können rhetorische Stärke und kommunikative Kompetenz keinen Schaden anrichten – um die Politik von außen zu rechtfertigen, aber auch um die Macht zu erhalten. Kohl zum Beispiel habe an seinem Geburtstag jeden CDU-Bezirksvorsitzenden persönlich angerufen. Dies ist ein transparentes und effektives Konzept. Es hat lange funktioniert. Weil es Loyalität gewährleistet.

Ohne Härte geht es nicht

Eine weitere Herausforderung ist die Sache mit den Medien. Gerhard Schröders Urteil wurde in den Annalen niedergeschrieben, dass er „Herr“, „BamS“ und „Fernsehen“ brauchte, um zu regieren. Das war vor dem Niedergang der Zeitung „Bild“ und auch vor dem triumphalen Fortschritt des Internets, nach dem das Fernsehen nicht mehr so ​​viel zählt.

Umgekehrt hatte Kohl oft sowohl „Spiegel“ als auch „Die Zeit“ gegen sich – und hielt noch 16 Jahre durch. Am Ende ist die These, dass ein Kanzler nicht dauerhaft gegen die öffentliche Meinung regieren kann, ohne irgendwann Schiffbruch zu erleiden, sicherlich richtig. Diese öffentliche Meinung wird jedoch gebildet.

Auf keinen Fall muss ein Regierungschef letztendlich seine eigene Partei und Fraktion im Auge behalten – und manchmal brutal sein, wenn es darum geht, den Gegnern den Kopf zu verlieren. Schmidt und Kohl könnten heiß und notfalls brutal werden. Brandt war weitaus zögerlicher, was ihm das Urteil des SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner einbrachte: „Der Herr badet gern lauwarm.“ Brandt wurde geliebt wie kein Kanzler vor ihm – und ging dennoch der Zeit voraus.

Frauen und Mütter müssen in diesem Land jeden Job machen können.

Annalena Baerbock Vorsitzende der Grünen

Sie sehen, dass das Anforderungsprofil eines Kanzlers nicht einfach ist. Nicht zu vergessen die höchste Anforderung: die Bereitschaft, Verantwortung für über 80 Millionen Menschen im Herzen Europas zu übernehmen.

Eine ganz andere Frage ist, ob die Menschen überhaupt nach einem Amt streben sollten – oder ob es sie nicht den Hals kosten sollte. Genau das drückt Joschka Fischers Bild von der „Todeszone“ aus. Auf jeden Fall bekam Brandt manchmal Depressionen und Schmidt einen Herzschrittmacher. Kohls Ehe war zerbrochen und die Beziehung zu seinen Kindern beschädigt – was sicherlich mit der Entfernung zum Bungalow in Oggersheim zu Hause zu tun hatte.

Schröder ließ sich viermal scheiden und war lange ein fünftes Mal verheiratet. Eines ist sicher: Das Privatleben geht so ziemlich an die Hunde in der Kanzlei. Freundschaften können kaum in einem Beruf gepflegt werden, in dem der Terminkalender Monate im Voraus gebunden werden muss.

Hat Annalena Baerbock all dies in Betracht gezogen, als sie sagte, sie habe es gewagt, das Büro zu übernehmen? Man weiß nicht. Sie selbst formulierte den durch und durch entwaffnenden Satz: „Frauen und Mütter müssen in diesem Land jeden Job machen können.“ In jedem Fall gilt für die Kanzlei das Gleiche wie für alles andere: Wenn Sie immer genau wüssten, was Sie im Leben erwartet – dann würden Sie sogar leben wollen?

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