WhatsApp löschen? Warum der Wechsel zu Telegramm die Sache nur noch schlimmer macht

Hannover. WhatsApp ist kurz vor dem Ende. Zumindest könnte man das denken, wenn man sich soziale Netzwerke ansieht. Seit einigen Tagen wird ein Boykott des Boten gefordert. Wütende Meinungen können gelesen werden, einige davon in den Medien. „Ciao Whatsapp! Ich werde nicht zulassen, dass ich von Facebook erpresst werde“, heißt es in einem Kommentar im Tech-Blog „Mobile Geeks“. Und selbst Prominente wie Tesla-Chef Elon Musk fordern öffentlich den Messenger-Umzug. Der Grund für die Aufregung ist ein Popup-Fenster, das derzeit allen Benutzern beim Öffnen der App angezeigt wird. Whatsapp oder seine Muttergesellschaft Facebook bittet sie, den neuen Datenschutzbestimmungen zuzustimmen. Diese sollten …
Hannover. WhatsApp ist kurz vor dem Ende. Zumindest könnte man das denken, wenn man sich soziale Netzwerke ansieht. Seit einigen Tagen wird ein Boykott des Boten gefordert. Wütende Meinungen können gelesen werden, einige davon in den Medien. „Ciao Whatsapp! Ich werde nicht zulassen, dass ich von Facebook erpresst werde“, heißt es in einem Kommentar im Tech-Blog „Mobile Geeks“. Und selbst Prominente wie Tesla-Chef Elon Musk fordern öffentlich den Messenger-Umzug. Der Grund für die Aufregung ist ein Popup-Fenster, das derzeit allen Benutzern beim Öffnen der App angezeigt wird. Whatsapp oder seine Muttergesellschaft Facebook bittet sie, den neuen Datenschutzbestimmungen zuzustimmen. Diese sollten … (Symbolbild/NAG)

Hannover. WhatsApp ist kurz vor dem Ende. Zumindest könnte man das denken, wenn man sich soziale Netzwerke ansieht. Seit einigen Tagen wird ein Boykott des Boten gefordert. Wütende Meinungen können gelesen werden, einige davon in den Medien. „Ciao Whatsapp! Ich werde nicht zulassen, dass ich von Facebook erpresst werde“, heißt es in einem Kommentar im Tech-Blog „Mobile Geeks“. Und selbst Prominente wie Tesla-Chef Elon Musk fordern öffentlich den Messenger-Umzug.

Der Grund für die Aufregung ist ein Popup-Fenster, das derzeit allen Benutzern beim Öffnen der App angezeigt wird. Whatsapp oder seine Muttergesellschaft Facebook bittet sie, den neuen Datenschutzbestimmungen zuzustimmen. Diese sollten es ermöglichen, Daten aus dem WhatsApp-Dienst mit anderen Facebook-Unternehmen oder Werbepartnern zu teilen. Ein Schritt, den Facebook bei der Übernahme von Messenger im Jahr 2014 zunächst ausdrücklich ausgeschlossen hat – und jetzt einführt.

Dies macht die Benutzer so wütend, dass der Geist des Optimismus auch außerhalb der Tech-Blase spürbar ist: Wer das Messenger-Telegramm auf seinem Smartphone installiert hat, sollte ab und zu Benachrichtigungen von Kontakten erhalten, die sich jetzt auch bei diesem Dienst registriert haben. Und in Gruppen verkünden Kontakte entschlossen: „Ich werde Whatsapp ab dem 8. Februar löschen, Sie können mich per Telegramm finden.“

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Die WhatsApp-Boykottdebatte ist auf vielen Ebenen interessant. Weil es ein bekanntes Muster zeigt, bei dem es am wenigsten um Datenschutz geht. In der Tat wird der Wechsel von WhatsApp zu Boten wie Telegram die Sache wahrscheinlich noch schlimmer machen.

Ein wiederkehrendes Dilemma

Seit Beginn der Smartphone-Ära stehen Benutzer vor einem immer wiederkehrenden Dilemma. Neue attraktive Angebote strömen auf den Markt, und neue Dienste haben die Kommunikation vereinfacht. Insbesondere eines bleibt auf der Strecke: Datenschutz. Oder um es drastischer auszudrücken: Benutzer scheinen es zu lieben, private Kommunikation in die Hände von undurchsichtigen Unternehmen zu legen.

Dies wurde zuletzt zu Beginn der Koronapandemie gesehen: Ein bisher völlig unbekannter Videokonferenzdienst erlebte einen enormen Boom. Wir sprechen über Zoom. Arbeitskollegen, Schulklassen, Freunde und Familienmitglieder waren über einen Dienst, von dem sie noch nie zuvor gehört hatten und über den es praktisch keine Informationen gab, digital in Sperrung verbunden. Zu dieser Zeit war von einer Zunahme der Nutzer um bis zu 110 Prozent die Rede. Spitzenreiter wie Teams oder Skype von Microsoft oder Hangouts (heute: Meet) von Google sahen dagegen ziemlich alt aus.

Rückblickend war der Hype aus Sicht der Datensicherheit ein sehr riskantes Unterfangen. Wenig später wurde bekannt, dass die Zoom-App massive Sicherheitslücken aufwies. „Zoomombing“ wurde zeitweise zu einer Art populärem Sport – Fremde konnten ohne viel Fachwissen in jede erdenkliche Videokonferenz einbrechen. Diese und andere Sicherheitslücken wurden nun geschlossen, und das Unternehmen versprach eine rasche Verbesserung.

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WhatsApp, die Mailbox-Firma

Die heutigen Anfänge von Zoom erinnern jedoch stark an die Anfänge von WhatsApp. Denn als die App Anfang der 2010er Jahre den Weg auf die ersten Smartphones fand, war der Kurierdienst nicht weniger zweifelhaft. Es war buchstäblich eine Mailbox-Firma. Über die WhatsApp-Betreiber war jahrelang praktisch nichts bekannt, der angebliche Firmensitz in Santa Clara (Kalifornien) führte zu einem Sushi-Laden. Und nicht nur das: Bis 2016 fehlte in Whatsapp auch eine sichere End-to-End-Verschlüsselung, die verhindert, dass Chats ausspioniert werden.

Das hat die Benutzer damals nicht gestört. Im Gegenteil: WhatsApp war Anfang der 2010er Jahre zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Als SMS-Ersatz wurde die App unter Freunden weitergegeben, und die Anzahl der Benutzer stieg von Monat zu Monat sprunghaft an. Sichere Alternativen wurden aufgrund des Hype praktisch ignoriert.

Erst als Facebook 2014 die Übernahme von Whatsapp bekannt gab, wurden die ersten Proteste laut. Damals gab es auch Aufrufe zum Boykott – obwohl sich die Situation für die Benutzer von da an tendenziell verbesserte. Facebook war ein Unternehmen, das definitiv eine Firmenadresse hatte – und auch das Unternehmen, das 2016 die sichere Verschlüsselung für Messenger eingeführt hat. Seitdem ist Whatsapp mindestens so sicher wie viele andere Messenger, vielleicht sogar noch sicherer.

Ausgerechnet ein Telegramm

Facebook ist jedoch offenbar ein Unternehmen, dem seine Nutzer massiv misstrauen. Paradoxerweise geben sie ihre Daten paradoxerweise lieber in die Hände völlig unergründlicher Entwickler als in die Hände eines bekannten Milliardärsunternehmens.

Dieses Muster ist heute wieder zu beobachten. Denn die beliebteste Zuflucht nach dem aktuellen WhatsApp-Boykott scheint nicht die europäische und nachweislich sichere Alternative Threema oder das von Elon Musk beworbene US-Gegenstück Signal zu sein – sondern ausgerechnet das Messenger-Telegramm. Eine Plattform, die zuletzt als Zufluchtsort für rechtsextremistische Verschwörungstheoretiker bekannt war.

Warum die Plattform auch außerhalb der Verschwörungsszene immer beliebter wird, ist praktisch unerklärlich. Denn nicht einmal der Standort des Unternehmens ist bekannt. Das Entwicklungsteam hat seinen Sitz in Dubai, die Gründer sind zwei russische Entwickler. Wo genau sich die Server befinden, ist weitgehend unklar.

Telegramm, ein Alptraum für die Privatsphäre

Nach Recherchen des Portals „heise.de“ vom November 2020 ist Telegramm auch ein „Datenschutz-Albtraum“. Das Portal beweist warum genau mit einem detaillierten Test.

Das Telegramm selbst erklärt in seinen FAQ, dass alle Nachrichten „immer sicher verschlüsselt sind. Nachrichten in geheimen Chats verwenden Client-Client-Verschlüsselung, während Cloud-Chats Client-Server / Server-Client-Verschlüsselung verwenden und in verschlüsselter Form in der Telegramm-Cloud gespeichert werden “, heißt es dort.

Die Tech-Experten von „heise“ kritisieren jedoch: Bei der Nutzung des Dienstes ist der Benutzer „völlig nackt“. Praktisch alles, was Sie hier eingeben, wird sofort über den Telegrammserver gesendet, noch bevor es überhaupt gesendet wurde. Alles wird zentral bei Telegram gespeichert und bei Bedarf geliefert. Nur die sogenannten geheimen Chats im Messenger bieten Sicherheit. Diese sind jedoch so gut versteckt, dass praktisch niemand sie benutzen darf, vermutet das Tech-Portal. Fast alle Telegramm-Chats liefen daher über die normalen „Kanäle, die Telegramm lesen kann“.

Signal und Threema als bessere Alternativen

Die angeblich „schlechte WhatsApp“ hingegen ist in dieser Hinsicht viel sicherer, analysiert das Portal. Es gibt keine zentralen Datenbanken mit allen Chats der Benutzer, auf die zugegriffen werden kann. WhatsApp verschlüsselt alle Nachrichten so, dass nur der tatsächliche Empfänger sie lesen kann (sogenannte End-to-End-Verschlüsselung). Die Chats würden nur auf dem jeweiligen Smartphone stattfinden, nicht auf den Servern des Betreibers. Und in der aktuellen Diskussion über die Datenübertragung, zum Beispiel an Werbetreibende, setzt die europäische DSGVO den Messenger massiv in den Griff. Mit anderen Worten: Wenn Sie aus Datenschutzgründen von WhatsApp zu Telegramm wechseln, stoßen Sie direkt auf das offene Messer.

Stattdessen empfiehlt das Portal das Messenger-Signal als bessere Alternative. Dies bietet eine ebenso sichere Verschlüsselung, ist aber gleichzeitig auch Open Source. Während niemand den Code auf WhatsApp einsehen kann, kann Signal immer überprüfen, was tatsächlich hinter den Kulissen vor sich geht.

Auch Threema aus der Schweiz bietet einen solchen öffentlichen Code an. „Um vollständige Transparenz zu gewährleisten, sind die Threema-Apps Open Source“, sagt das Unternehmen selbst. Apples Messaging-App (iMessage) ist eine weitere sichere WhatsApp-Alternative. Dies ist jedoch kein Open Source und für viele Benutzer praktisch unbrauchbar, da es nur auf Apple-Geräten angeboten wird.

Die Verbreitung geht über den Datenschutz hinaus

Und das bringt uns zum Kern des Problems. Denn warum entscheidet sich ein Benutzer letztendlich für das zweifelhafteste Kommunikationsmittel und nicht für das sicherste? Denn letztendlich spielt der Datenschutz offenbar eine viel geringere Rolle als die tatsächliche Verbreitung des Dienstes.

Jeder, der garantiert jemanden per Video-Chat erreichen möchte, verlässt sich auf Zoom – trotz Sicherheitslücken. Wenn Sie jemanden per Chat erreichen möchten, können Sie WhatsApp – oder jetzt Telegramm – verwenden. Der Messenger hatte bereits 2019 7,8 Millionen deutsche Nutzer. Aktuelle Zahlen sind nicht bekannt – aufgrund der Pandemie dürften die Zahlen von Telegram sowohl in diesem Land als auch im Rest der Welt massiv gestiegen sein.

Dienste wie Threema und Signal werden wahrscheinlich in der Tech-Blase boomen – in der Welt der Arbeitskollegen, Nachbarn, Schul- und Kindergartengruppen wird jedoch wahrscheinlich ein Bote als Alternative verwendet, der die geringste Sicherheit von allen bietet. Nämlich Telegramm.

Schuld sind auch die Unternehmen

Am Ende bleibt abzuwarten, wer tatsächlich für das Dilemma verantwortlich ist. Es ist möglich, dass es die Benutzer sind, die sich weniger um ihre Daten kümmern, als sie tatsächlich zugeben.

Oder vielleicht sind es die Tech-Unternehmen selbst. Weil es Giganten wie Google und Apple noch nicht gelungen ist, sichere Alternativen zu finden, die von jedem auf dem Markt genutzt werden können. Selbst europäische Unternehmen haben im Laufe der Jahre keine attraktiven Angebote erstellt. Die größte Enttäuschung war wahrscheinlich der Simsme-Messenger der Deutschen Post, der 2014 vorgestellt und 2019 endgültig eingestellt wurde.

Unternehmen wie Facebook, die derzeit eine Art Monopol haben, verachten inzwischen das Vertrauen ihrer Nutzer mit neuen Datenschutzbestimmungen. Die Tatsache, dass Benutzer wiederholt auf die zweifelhaftesten Operatoren stoßen, ist ein vorprogrammierter Teufelskreis – und wahrscheinlich unvermeidlich.

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