Universität Marburg: Schatten der NS-Zeit endlich aufarbeiten!

Universität Marburg: Schatten der NS-Zeit endlich aufarbeiten!
Der Schatten der Vergangenheit ist lang, besonders in der Wissenschaft. Professor Eckart Conze von der Philipps-Universität Marburg hat in einem aktuellen Vortrag eindrucksvoll dargelegt, wie schwierig die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Universität bis heute bleibt. Mit seinem Vortrag, der sich hauptsächlich mit der Nachkriegszeit beschäftigte, verdeutlicht er, dass diese Themen nach 1945 oft nur in Ausnahmefällen zur Sprache kamen. Besonders die Universitätsleitung sandte ein klares Signal: der Wiederaufbau orientierte sich an einer „vermeintlich heilen akademischen Welt von 1933“.
Bei der Betrachtung der Umstände wird klar, dass die Geschehnisse nach der NS-Machtergreifung und der Umgang mit der Entnazifizierung lange Zeit tabuisiert waren. „Ein echter Neubeginn war nicht möglich“, so Conze, „die Schatten des Nationalsozialismus reichten weit über die Nachkriegszeit hinaus.“ Lediglich Jahrzehnte später begann eine ernsthafte und kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Hochschule, die während der NS-Zeit von zahlreichen Herausforderungen geprägt war.
Einblicke in die Universitätsgeschichte
Besonders aufschlussreich sind die Aussagen von ehemaligen Rektoren. Professor Gerhard Albrecht erklärte 1949, die Hochschule habe die NS-Zeit „ohne inneren Schaden“ überstanden, während Professor Julius Ebbinghaus im Jahr 1946 berichtete, dass Marburg sich „weitgehend von wissenschaftszerstörenden Kräften abschirmen konnte“. Solche Behauptungen lassen sich jedoch schwer mit den tatsächlichen Geschehnissen in Einklang bringen, denn die Universität befand sich mitten in einem umstrittenen Umbruch.
Ein weiteres Beispiel für den Widerstand gegen die Entlassung von NS-belasteten Professoren brachte Professor Erich Schwinge, der sich trotz eigener Verstrickungen nach 1946 gegen die Entlassungen engagierte und später Rektor wurde. Dies zeigt die tief verwurzelten Herausforderungen, die die Hochschule zu bewältigen hatte. Heute, am Vorabend eines neuen Vortrags im Rahmen des Studium Generale mit Professorin Sabine Mecking und Sarah Kramer, wird erneut auf die Notwendigkeit der Aufarbeitung hingewiesen.
Aktuelle Entwicklungen und zukünftige Projekte
Nach einem Antrag, der am 30. März 2022 zur „Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ im Senat der UMR eingebracht wurde, hat sich die Universität verpflichtet, die nationalsozialistische Vergangenheit kritisch zu betrachten. Angeführt von einer Vorbereitungsgruppe, in der verschiedene Institutionen der Universität vertreten sind, wird ein Portal geschaffen, das Informationen zur Rolle der Philipps-Universität im Nationalsozialismus zusammenführen soll. Dieses Portal bietet nicht nur Hochschulangehörigen, sondern auch der interessierten Öffentlichkeit wertvolle Einblicke und wird kontinuierlich aktualisiert.
Die Notwendigkeit eines solchen Portals verdeutlicht den enormen Forschungsbedarf, den Professor Conze nach seinem Vortrag ansprach. Auf diese Weise können Nutzer Inhalte beisteuern, und die Universität stellt sicher, dass die zentralen Fragen zur eigenen Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten. Ansprechpartnerin für das Projekt ist Dr. Esther Krähwinkel, die an wesentlichen Aspekten der digitalen Forschung tätig ist.
Die Entwicklungen an der Philipps-Universität spiegeln auch einen breiteren Trend wider, der an anderen Hochschulen zu beobachten ist, wie beispielsweise an der Universität Tübingen, die bereits frühzeitig die eigene Geschichte im Nationalsozialismus aufgearbeitet hat. Solche Bestrebungen zeigen, dass die Universitäten mehr denn je bereit sind, sich mit den dunklen Kapiteln ihrer Geschichte auseinanderzusetzen und Lehren daraus zu ziehen, um eine transparente akademische Zukunft zu gestalten.
Die Herausforderung bleibt, dass eine vollständige und ehrliche Aufarbeitung Zeit und Engagement benötigt, und die Philipps-Universität Marburg scheint auf einem Weg zu sein, diesen Herausforderungen mit Weitblick zu begegnen.